DFB-Frauen starten in EM: Giulia Gwinn will “sich für die Mannschaft zerreißen”



interview

Stand: 04.07.2025 08:00 Uhr

Mit dem Spiel gegen Polen startet Deutschland am Freitag (ab 20.15 Uhr im Ersten und im Livestream) in die EM in der Schweiz. Verteidigerin Giulia Gwinn führt die DFB-Frauen dann erstmals als Kapitänin in ein Turnier. Im sportschau-Interview spricht sie über Verantwortung, Verletzungen und die Entwicklung zur Leaderin.

sportschau.de: Giulia Gwinn, anders als Ihre sehr extrovertierte Vorgängerin als DFB-Kapitänin, Alexandra Popp, wirken Sie auf dem Platz immer recht ruhig. Gab es in den vergangenen Monaten Momente, in denen Sie laut geworden sind?

Giulia Gwinn: Definitiv – als wir im Nations-League-Spiel zur Pause gegen Schottland 0:1 zurücklagen. Da sind der Bundestrainer und ich beide laut geworden. Das war nötig. Wir wussten: Wenn wir jetzt nicht aufwachen, werden wir dieses Spiel nicht gewinnen.

Sie haben Bastian Schweinsteiger als Ihr Kapitäns-Vorbild bezeichnet. Warum?

Gwinn: Weil mich einfach seine Art total gepackt hat. Er war für mich immer ein emotionaler Leader. Keiner, der nur rumschreit auf dem Platz. Er hat mit seinem Willen einfach die Mannschaft mitgerissen. Wie er sich beim WM-Finale 2014 zerrissen hat für die Mannschaft, das geht mir nicht aus dem Kopf. Und auch wenn man das Gefühl hatte, eigentlich kann der Mann keinen Meter mehr gehen, hat er immer weitergemacht. Und das möchte ich auf jeden Fall genau so machen: emotional die Mitspielerinnen mitziehen und vorangehen.

Alexandra Popp, Marina Hegering und Merle Frohms sind im vergangenen Herbst aus der Nationalelf zurückgetreten, andere etablierte Spielerinnen kamen auch verletzungsbedingt seltener zum Einsatz. Wie hat das Team diesen Umbruch verkraftet?

Gwinn: Da gingen Spielerinnen, die auch abseits des Platzes einfach Persönlichkeiten sind. Das muss man erst einmal auffangen mit einer relativ jungen Mannschaft. Ich glaube, wir haben das ganz gut gemacht. Aber für mein Gefühl ist es schon besonders, dass viele Spielerinnen gefühlt gerade einen Schritt nach vorne machen und auch gewillt sind, dass diese Verantwortung auf viele Schultern verteilt wird. Ich denke, da wird in Zukunft Großes möglich sein.

Ihr erstes großes Turnier mit dem DFB-Team haben Sie 2019 bei der WM in Frankreich gespielt. Im ersten Gruppenspiel gegen China haben Sie getroffen – die Schlagzeile in der “Bild” lautete damals: “Hässlicher Auftaktsieg dank unserer Hübschesten”. Immer wieder werden Sie auch als “Deutschlands schönste Fußballerin” bezeichnet. Ist das ein Kompliment oder eher nervig?

Gwinn: Zunächst muss man sagen, dass “Poppi” (Alexandra Popp) im Vorfeld des Turniers gebeten wurde, ihre Mitspielerinnen zu beschreiben. Und da fielen irgendwie die Worte “unsere Hübscheste”, was am Anfang natürlich witzig war. Aber darum geht es mir nicht. Natürlich bin ich auch eine junge Frau und mache gerne meine Haare schön und schminke mich auch mal. Aber viel wichtiger ist mir das, was auf dem Platz passiert. Und da bin ich eine andere Person. Da ist es mir egal, wie ich aussehe, da haue ich mich in die Zweikämpfe rein, da renne ich um mein Leben. Da ist es mir auch egal, wenn mir ein Zahn ausgeschlagen wird. Also kann man wirklich nicht von “der Schönsten” sprechen, sondern eher von der, die sich für die Mannschaft zerreißen will.

Sie haben sich bereits zweimal schwer verletzt, im Abstand von zwei Jahren die Kreuzbänder in beiden Knien gerissen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Gwinn: Beim ersten Mal hat mir die Diagnose Kreuzbandriss den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Monate in der Reha waren schon ein extremer Kampf mit mir selbst. Ich kam aufs Trainingsgelände in München, habe mein Ding gemacht und versucht, irgendwie ein Lächeln aufzusetzen. Ich habe versucht, stark zu sein, obwohl es in mir drin ganz anders aussah. Und ich glaube, das hätte ich wahrscheinlich an der einen oder anderen Stelle auch mal rauslassen dürfen. Aber ich wollte einfach keinen damit belasten, deswegen habe ich oft einfach eine Maske aufgesetzt.

War das nach dem zweiten Kreuzbandrisss im Herbst 2022 anders?

Gwinn: Die erneute Verletzung war schon erst mal ein Schlag. Aber es hilft einem auch in gewisser Weise, wenn man eben schon vertraut ist mit dem ganzen Thema. Es war noch einmal eine Hürde, die ich genommen habe, um im Endeffekt noch mal ein Stück stärker zu werden.

Wie haben diese Rückschläge Sie verändert?

Gwinn: Ich bin daran gewachsen. Dadurch, dass ich insgesamt zwei Jahre lang nicht Fußball spielen durfte, empfinde ich einfach eine Riesendankbarkeit, dass ich gesund auf dem Platz stehen darf, dass ich so viele Menschen begeistern darf und dass ich das gemeinsam mit Freundinnen im Team teilen darf. Deswegen bin ich auch deutlich selbstsicherer geworden und sehr gewillt, mehr Verantwortung zu übernehmen, um das Team voranzubringen.

Im Mai haben Sie ein Buch veröffentlicht. Der Titel lautet: “Write your own story”.

Gwinn: Das ist schon ganz lange mein persönliches Motto, das habe ich mir auch auf den Unterarm tätowieren lassen. Das Buch soll vor allem junge Mädchen inspirieren, sie zum Fußball bewegen, sie ermutigen, auch ihren Weg zu gehen. Wenn ich zurückblicke, war es so schwierig für mich, dass es keine weiblichen Vorbilder gab. Ich möchte, dass Mädchen wirklich weibliche Idole haben. Frauen, zu denen sie aufschauen können.

Mit welchem Ziel geht das DFB-Team in die EM in der Schweiz?

Gwinn: Wir haben 2022 in England die Luft schnuppern dürfen, sind dann im Finale leider haarscharf gescheitert. Aber da haben wir schon ein bisschen Blut geleckt. Natürlich wird die Euro wieder sehr, sehr schwer werden. Es gibt viele Mannschaften, die absolute Spitze sind und um den Titel mitspielen wollen. Aber auf jeden Fall gehört Deutschland für mich dazu.

Werden Ihre Eltern wieder auf der Tribüne dabei sein?

Gwinn: Ja! Für mich ist es das Allergrößte, dass sie mich immer unterstützen. Das war von Anfang an so. Ich weiß, dass sie super viel auf sich nehmen, unzählige Kilometer mit ihrem Wohnmobil zurücklegen, nur damit sie für 90 Minuten auf der Tribüne sitzen können und diese Momente miterleben dürfen.

Das Gespräch führte Inka Blumensaat im Rahmen der Dreharbeiten zur Dokumentation “Shootingstars”.



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